„Der Diplomat“ Stéphane Hessel
29. Okt 2025
19. Okt 2025 – 17:30 Uhr, Cinema (kleiner Saal)
Sehr anregend verlief das Filmprojekt von pax christi in Kooperation mit der "Linse“, zu dem auch die beiden Regisseur*innen Antje Starost und Hans-Helmut Grotjahn gekommen sind. Der kleine Saal mit 58 Personen ist ausverkauft. Die Nachfrage war noch größer.
Der Dokumentarfilm „Der Diplomat“ wurde 1994 von Manfred Flügge, Hans-Helmut Grotjahn und Antje Starost produziert. Er erzählt die Lebensgeschichte von Stéphane Hessel, der am 20.10.1917 in Berlin geboren wurde und am 27.02.2013 in Paris starb.
Das deutsche Elternhaus und die französische Lebenswelt prägten seine Biografie nachhaltig; so verstand er sich als Kosmopolit, was in den Filmabschnitten immer wieder deutlich wird. Kaleidoskopartig werden die verschiedenen Lebensabschnitte zusammengefügt. Die unter-brechenden schwungvollen Akkordeonstücke bilden den Nachklang zu den zuvor gehörten Lebenserinnerungen und bringen in der Schlussszene Stéphane Hessel selbst zum Tanzen.
Stéphane Hessel emigrierte 1924 mit seiner Familie nach Frankreich, wuchs in Paris auf und studierte dort. Während des Zweiten Weltkriegs engagierte er sich, durch General de Gaulle motiviert, in der Résistance, wurde 1944 von der Gestapo verhaftet und ins KZ Buchenwald deportiert. Sein Überleben verdankte er der Hilfe von Eugen Kogon, dem späteren Autor des Standardwerks „Der SS-Staat“.
Nach dem Krieg begann Hessel seine Diplomatenkarriere bei den Vereinten Nationen in New York. Dort war er an den Beratungen zur Formulierung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beteiligt – ein Thema, das ihn sein ganzes Leben lang nicht mehr loslassen sollte. Mit über 90 Jahren rief er mit seinen Schriften „Empört euch!“ und „Engagiert euch!“ eine neue Generation zum Handeln auf. Beide Bücher wurden weltweit millionenfach verkauft und von Michael Kogon, dem Sohn seines Lebensretters, ins Deutsche übersetzt.
Nicht nur der Beifall, sondern auch die tiefen und interessierten Nachfragen von Seiten des Publikums zeigten, dass das Interesse am Film an diesem Abend wichtige Fragen hervorrief, die dann im sehr lebendigen Gespräch dank der animierenden und zugleich zurückhaltenden Art der Moderation durch Wolfgang Kowallick artikuliert werden konnten.
- Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, einen Film über Stéphane Hessel zu machen?
 - Wie sind die Gespräche während der Produktionszeit des Filmes gelaufen? Haben Sie die Fragen detailliert vorbereitet oder die Arbeit mehr oder weniger spontan und dem Zufall überlassend laufen lassen?
 - Was hat Sie an seiner Person besonders berührt und haben Sie etwas für sich selbst persönlich aus der Arbeit mit ihm entnehmen können, was heute noch für Sie von Bedeutung ist?
 - Stéphane Hessel war nicht nur beim auswendig Rezitieren vieler Gedichte, sondern auch bei seinen spontanen Tanzeinlagen sehr lebendig. Hat er Sie selbst zum Tanzen gebracht?
 
Die Fragen zeigen, dass dieser Film nicht primär ein nettes Konsumerlebnis war, sondern dass eine echte Begegnung zwischen der Biografie und Welt Hessels und den Zuschauern spürbar wurde.
Antje Starost und Hans-Helmut Grotjahn berichteten, dass Stéphane Hessel bei allen möglichen Situationen Gedichte in Deutsch, Englisch und Französisch rezitierte. Die Gedichte, waren für ihn ein wichtiges Kulturgut, die im halfen, selbst unter der Folter im KZ seine Würde zu bewahren.
Bange war den Regiseur*innen, als sie mit Stéphane Hessel die KZs Buchenwald und Dora aufsuchten. Sie erlebten einen tief bewegten Menschen, voll Trauer über Tod und Leid seiner damaligen Schicksalsgenossen.
Im KZ Buchenwald sollte Stéphane Hessel hingerichtet werden. Ein mehr als glücklicher und zugleich schockierender Zufall rettete sein Leben. Eugen Kogon arrangierte einen Identitätswechsel, bei dem ein verstorbener Tuberkulose erkrankter Häftling seinen Namen erhielt. Es war sein Geburtstag, an dem ihm mit einer anderen Identität ein neues Leben geschenkt wurde. Für ihn war es eine Erlösung, aber auch ein Gefühl bleibender Verantwortung für seine Mitmenschen, die ihn Lebenslang prägte. Die Zuschauer fragten sich, wie man das damit verbundene Schuldgefühl und die Traumata der KZ-Gefangenschaft in seinen späteren Leben überhaupt verarbeiten kann?
Nach dem Krieg begann Stéphane Hessel seine Diplomatenlaufbahn zunächst in New York bei der Menschenrechtskommission. Er füllte mehrere Rollen als Botschafter Frankreichs in verschiedenen Ländern sowie bei der UNO in Genf aus. Seine Rolle als Diplomat machte zwei Wesensmerkmale deutlich: Zum einen gehört die Bereitschaft dazu, dem anderen nichts kleinlich vorzuschreiben, was er zu tun hätte. Vielmehr muss man dem politischen Partner das Gefühl geben, dass er selbst das Entscheidende entwickelt an der Lösung, die in einem Konflikt gefunden werden muss.
Die unbedingte Achtung der Würde und Autonomie seiner politischen Partner ist Voraussetzung für sein Verständnis von Diplomatie. Da man die gesuchten Lösungswege nicht programmieren kann, ist eine große Offenheit und Toleranz erforderlich, aber auch ein feines Gespür in Verhandlungen und Gesprächen abseits der offiziellen politischen Bühnen, zum Beispiel beim Abendessen und Spazierengehen. Und vieles muss man auch sprachlich im Ungefähren und Offenen belassen und kann es nicht zu präzise formulieren oder planen - das ist die Kunst der Diplomatie in der Balance zwischen unbestimmtem/unverbindlichem Reden und arrogant/autoritärem Habitus.
Die Antwort auf die oben angedeuteten Fragen gab das Leben Stéphane Hessels selbst, und so formulierte er schließlich seinen Grundsatz: Meine Entscheidung war, dass ich nicht primär alles schlimm finden muss oder schicksalsergeben hinnehme oder all das gar nicht so wichtig nehme. Meine Antwort war: Fortan übernehme ich Verantwortung in Freiheit und Entschiedenheit. Dies ließ er sich nicht nehmen, und wie er das tat, das war beeindruckend.
Die beiden Regisseur*innen Antje Starost und Hans-Helmut Grotjahn boten an, im ersten Halbjahr 2026 einen weiteren Film über Stéphane Hessel zu zeigen: „Empört euch! Engagiert euch!“, in dem er besonders die Jugend aufruft, sich für Frieden und eine gerechtere Gesellschaft zu engagieren.
Bernhard Dreyer, Wolfgang Kowallick